Samstag Abend nach einem WM-Halbfinale. Wir sitzen an der Uni und warten.
19:00 Uhr Jetzt soll es also gleich ernst werden, alles ist vorbereitet, Gastgeber gefunden, Essen und Getränke stehen bereit. Eine letzte SMS vom polnischen Reisebus hörte sich verhalten optimistisch an. Sie sind relativ gut vorangekommen, es könnte also klappen mit dem Zeitplan.
19:30 Uhr Eine neue SMS, Probleme mit dem Bus, aus der Traum von der perfekten Planung.
20:30 Uhr Die ersten Gastgeber kommen bereits, wir bereiten sie schonend auf längeres Warten vor.
21:00 Uhr So langsam treffen auch alle weiteren Gastgeber ein, auf unsere Ankündigung gehen sie teilweise gleich wieder ins Mezzogiorno zum Fussball gucken.
21:30 Uhr Immer noch keiner da, aber jetzt sind sie wirklich nicht mehr weit, nur langsam mit 40-50 km/h auf der Autobahn. Wir sind bereit, das Wasser kocht.
22:00 Uhr Endlich, ein Bus übermüdeter polnischer Reisender heuchelt Wiedersehensfreude, will aber eigentlich nur noch heim und schlafen.
22:15 Uhr Das Essen gibt noch ein paar Rätsel auf, sind das Pierogi? Nein, wir nennen das Maultaschen und nehmt doch auch Kartoffelsalat dazu.
23:00 Uhr Noch ein wenig hin und her, natürlich gibt es 1-2 ‹berraschungsgäste, aber alles in allem hat die Verteilung gut geklappt.
23:15 Uhr Die letzten Gastgeber treffen ein und dürfen gleich noch beim Aufräumen helfen – wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
23:30 Uhr Der letzte macht’s Licht aus, aber vorher noch den Abwasch, am Ende reicht es für den vorletzten Bus nach Haus – immerhin.
Jetzt wollen eigentlich auch wir nur noch schlafen, aber über Stuttgart bricht ein Höllengewitter rein. Zumindest einer unserer Gäste ist begeistert, der Ausblick von unserer Wohnung scheint für entgangenen Schlaf zu entschädigen – Blitze und Donner zerreissen die Nacht und es hört nicht auf zu schütten.
Auch am nächsten Morgen nicht, und nach einer viel zu kurzen Nacht treffen wir uns mit unsern zwangsverpflichteten Gästen und einigen hartgesottenen Hilfsbereiten zur Lunchpaketmanufaktur an der Uni. Die Fertigungsstrafle läuft wie ein Uhrwerk und pünktlich starten wir zur geplanten Stadtführung.
Haben wir so viele Regenschirme? Nein, aber mal wieder Glück, gerade als wir losgehen, hört der Regen auf und es kommt sogar ein wenig Sonne raus. Für mich sehr glückliche Arbeitsteilung: Dieter erklärt kenntnisreich Wissenswertes über Stuttgart und ich halte den Reiseleiterregenschirm.
Im Anschlufl erhalten unsere Gäste auf dem Weg zum polnischen Konsulat eine ungeplante Stuttgarter Tunnelführung mit dem Reisebus. Das Wählen (es ist Präsidentschaftswahl in Polen) klappt erstaunlich zügig – offensichtlich sind die Konsulatsmitarbeiter schon zu lang in Deutschland, alles so organisiert. Es gibt in Polen keine Briefwahl, und zur Förderung der Demokratie ist uns natürlich kein Weg zu weit.
Nachdem wir jetzt sogar unserm an dieser Stelle konservativem Zeitplan voraus sind, schicken wir unsern Bus tunnelfrei zurück ins Zentrum, um einen Abstecher zum Santiago de Chile Platz zu machen – fast wie Fernsehturm, ein echter Tipp.
Das Daimlermuseum kommt gut an, einigen gefällt es wegen der Architektur, anderen wegen der Autos, wieder anderen wegen der geschichtlichen Einbindung, scheinbar für alle was dabei und wir haben ja schliesslich ein Versprechen einzulösen – in Polen haben wir zum Presentation Evening „Mir im Süden“ gesungen und da heiflt es ja bekanntlich das Schwabenland würde sich vor allem durch überlegene Automobile hervorheben.
Mission erfüllt und auf zum Gottesdienst, in dem der Chor zu hören sein soll. Während die polnischen Sänger sich zur Probe in der Kirche einfinden, versucht Willi den Bus zurück zur Universität zu lotsen. Keine einfach Unternehmung mit einem Doppelstockbus in Stuttgart West, wo Parken in der Straflenecke zum guten Ton gehört. Dass die Busfahrer keine von Willis zahlreichen Sprachen beherrschen, vereinfacht die Sache auch nicht.
Dass wir die Kirche zum Vespergottesdienst nicht voll kriegen würden war klar, aber peinlich wurde es zum Glück auch nicht, einige Unimusiker und andere Gäste fanden sich ein und waren dem Anschein nach überwiegend recht angetan. Noch ein Wort zur Vesper, zwei Tage vorher wurden wir aufgeklärt, dass man unter Vesper entgegen dem Worklang einen Gottesdienst ohne Keks (Eucharistie) versteht. Um ihren spirituellen Verpflichtungen nachzukommen, muflten daher die katholischeren unter den Polen sehr früh aufstehen und bereits um 8:30 Uhr in der Innenstadt den vollständigen Gottesdienst aufsuchen.
Zum Abschluss dieses schönen Tages fielen wir dann in den Singsaal der St. Elisabeth Gemeinde ein, wo wir schon von unseren fleissigen Küchenhelfern, Dirk und Svenja, erwartet wurden. Mit so vielen Leuten heizt sich der kleine Saal recht gut auf, warm war es ja eh, also reissen wir schonmal die Fenster auf. Alle Fenster? Nein, denn die unerschrockenen Küchenfenster hörten nicht auf, tapfer Widerstand zu leisten und einfach verschlossen zu sein, weshalb sich in der Küche schnell kuschelige Saunatemparaturen einstellten. An dieser Stelle nochmal Respekt unserm Küchenteam, die meisten Menschen harren nicht länger als 20min in der Sauna aus. Bis alle Gäste versorgt waren, müssen es guinnesrekordverdächtige 2-3 Stunden gewesen sein. Unsern Dank gilt auch den anderen Bewohnern des Hauses, die sich nicht blicken liessen und uns trotz ausgedehnter Ruhestörung keine Polizei auf den Hals hetzten.
Am Montag morgen hiefl es dann Abschied nehmen. Aber zuerst machte ich mit Otto noch eine kleine Rundreise durch die Stadt um einen Supermarkt zu finden, der so früh (7:30 Uhr) schon öffnet, damit wir den Bus mit ausreichend Wasser für die Fahrt versorgen konnten. Besorgt, dass wir nicht rechtzeitig zurück wären, muflte ich nicht sein – ich hatte den Schrankenschlüssel dabei und der Bus war auf der andern Seite der Schranke.
Alles in allem, eine sehr gelunge Aktion. Uns hat es viel Spafl gemacht und wir haben uns sehr gefreut, das wir dieses schöne Projekt auf diese Weise fördern konnten. Nochmals vielen herzlichen Dank allen Gastgebern und Helfern, die das möglich gemacht haben. Wir hoffen, ihr hattet trotz der knappen Zeit gute Gespräche mit euren polnischen Gästen und vielleicht möchte ja der eine oder die andere sogar im nächsten Jahr selber in Polen und Frankreich mit dabei sein.
(c) Holger Rode, erschienen im Unisono September 2010