Als ich letztes Jahr zum ersten Mal mitgekommen bin, habe ich mir gedacht: Was wird das wohl werden? Kaum Chorerfahrung (bis dahin zusammen etwa ein Jahr und das mit Unterbrechung), dafür eine ganze Woche und das auf hohem Niveau.
Los ging es schon am ersten Freitag direkt nach der Ankunft in Polen: Kurz nach dem Abendessen gab es schon die erste Probe von 19 bis 22 Uhr. Ja, man hat die Noten zuvor bekommen, und natürlich habe ich mir diese auch mit meinen Mitstreitern zuvor angesehen. Aber außer der groben Melodie konnten wir vor Reiseantritt auch nicht viel mehr. Wo war ich da nur gelandet?
Die ersten Tage sind, zugegebenermaßen, hart. Von morgens um 9 bis spät abends Proben, dazwischen einige Proben und gutes (!) Essen. Für einen Anfänger ist es schon etwas happig. Doch nach und nach bekommt man Sicherheit in den Liedern und man findet Gefallen. Und zwar an allem: Die Leute sind wahnsinnig nett, offen und ihre Levels sind sehr unterschiedlich, weswegen man auch keine Angst haben muss, bei den Profis unterzugehen. Einige sind Vollblutmusiker, auch Dirigenten und Soloisten, einige sind Chorsänger mit lanjährige und es gibt auch ein paar Laien, wie ich es war. Was alle verbindet ist die Musik und die Chance dem Alltagstrott etwas zu entfliehen, neue Freundschaften zu schließen. Auch die Stücke, so unterschiedlich sie sind (von einem sehr modernen Marek Jasiński, über französische zeitgenössische Musik, bis hin zu polnischen, spanischen, russischen Liedern und mittelalterlichen Chorälen) singt man von Mal zu Mal mit größerer Begeisterung.
In Terra Pax hat, wie immer, einen festen Platz im Internationalen Chorfestival von Międzyzdroje, bei dem der Chor immer mit einen Ehrenauftritt außer Konkurenz teilnimmt. Das Festival startet für gewöhnlich am Sonntag und man hat jeden Abend die Gelegenheit, die teilnehmenden Chöre (kostenlos!) zu bewundern. Wer dann noch will und kann macht anschließend den Ort mit seinen Sängerkammeradinnen und -Kameraden unsicher. Nicht selten wird die Tour dann im Hotel bei Gesang beendet. Bei In Terra Pax geht es, so habe ich festgestellt, neben der professionellen Chorarbeit (die Dirigenten sind allesamt renomierte Persönlichkeiten) natürlich in erster Linie um den Kulturaustausch. Aus dieser Idee heraus wurde der Chor auch schließlich gegründet: Mit Musik Brücken zu schlagen und im Austausch mehr Verständnis für den Nachbarn zu gewinnen. Das wird einerseits bei ungezwungenen Gesprächen in den Pausen und beim Essen praktiziert, andereseits beim sehr geselligen Zusammensein am Abend. Erwähnenswert ist hier auch der Presentation Evening, bei dem sich jedes Land mit einer kurzen Showeinlage vorstellt.
Auf was lässt man sich ein? Nun, in erster Linie viel Arbeit: Der Tag fängt um 9 Uhr morgens mit der ersten Probe an und endet je nach dem vor dem Festival um 22 Uhr, bzw. während des Festivals um 18 Uhr mit dem Abendessen. Das klingt anstrengend, ist es auch : ). Es wird sehr auf Präzision und Disziplin der Sänger geachtet. Auch wenn der Abend meistens sehr fröhlich endet, wird von jedem einzelnen tagsüber höchste Konzentration und Mitarbeit gefordert. Doch in jedem Fall kommt die Freizeit nie zu kurz. So bleibt auch manchmal die Gelegenheit, ein Bad in der (kalten) Ostsee zu nehmen, die gleich über die Straße am langgezogenen Sandstrand zu finden ist.
Letztes Jahr, muss ich zugeben, waren die Stimmbänder etwas ausgeleiert. Sieben Stunden Proben, zwei bis drei Konzerte und das alles in einer Woche fordern ihren Tribut. Doch es hat sich gelohnt: Innerhalb von sechs Tagen werden nicht nur rund zwölf Lieder einstudiert, nein, man bringt sie so weit, dass sie vor internationalem Publikum aufführen kann. Auch wenn das Festival in Deutschland nahezu unbekannt ist, ist es in Polen eine feste Größe und genießt entsprechendes Ansehen. Bei den Liedern selbst handelt es sich bei weitem nicht (nur) um einfache Stückchen, sondern zum Teil auch, wie dieses Jahr zum Beispiel, um doppelchörige, zehnstimmige Sätze. Das muss schon etwas heißen.
Fazit: Auch wenn man mit gemischten Gefühlen an die Woche herantritt, fällt der Abschied am Samstagmorgen wahnsinnig schwer. Selbst als „Anfänger“ mit einem Jahr Erfahrung und etwas Motivation ist es durchaus machbar, die Woche mit Erfolg zu überstehen. Und auch als Profi kommt man, bei der gegebenen Liedauswahl und ab und zu mit der Aufforderung, doch selbst einmal eine Gruppe zu dirigieren oder einen Solopart zu singen, auch auf seine Kosten. Auch wenn die Zeit ziemlich kurz ist, wird man zusammengeschweißt. Und manchmal entsteht mehr als nur Kammeradschaft. Man wartet schon sehnsüchtig auf das nächste Mal und hofft dann alle wiederzusehen. Neben dem Zwischenmenschlichen lernt man auch andere Softskills, wie Aufwärm- und Singtechniken, die einem im normalen Chorleben sehr weiterhelfen und man schnappt das eine oder andere Wort Polnisch auf.
Nun steht meine erste Chorreise an, von der man mir berichtet hat, dass auch sie ein unvergessliches Erlebnis sein wird. Dieses Jahr geht es nach Hannover. Was uns dort wohl erwartet?
(c) Dirk Coehne, 2012